Hintergrundinformationen zur Dosisanpassung von Arzneimitteln bei chronischer Niereninsuffizienz

Zur Berechnung der Nierenfunktion und Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz werden von Scholz Online zwei Tools bereitgestellt, die getrennt voneinander an verschiedenen Stellen des Prozesses abrufbar sind:

  1. Der Nierenfunktionsrechner zur Berechnung der eCrCl (estimated Creatinine Clearance = geschätzte Kreatinin-Clearance) bzw. eGFR (estimated glomerular filtration rate = geschätzte glomeruläre Filtrationsrate) aus dem Serumkreatinin

    1. Aufruf bei der Eintragung der Laborwerte → Nierenwerte (Dateneingabe „Laborwerte“)

    2. Aufruf aus dem Dosisrechner bei Niereninsuffizienz (jederzeit über die Sidebar zu öffnen)

  2. Der Dosisrechner bei Niereninsuffizienz (auch Dosisrechner bei NI) zur Berechnung der prozentualen Dosisanpassung konkreter Arzneimittel, die einen Q0-Wert von ≤ 0,5 aufweisen

    1. Aufruf jederzeit über die Sidebar

    2. Aufruf aus dem Analyse-Pop-Up zu Dosierung/Intervall (Risikoanalyse 1)

 

Empfohlene Durchführung einer Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz in der Praxis:

  • Schritt 1: Prüfen der Dosierungshinweise bei Niereninsuffizienz in einer aktuellen Fachinformation zum vorliegenden Arzneistoff

    • Wird eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz empfohlen?

    • Wenn ja, wird diese durchgeführt

      • nach geschätzter Kreatinin-Clearance (ml/min nach Cockcroft-Gault)

      • nach eGFR (nach CKD-EPI in ml/min/1,73 m2 oder entnormiert in ml/min)

    • Gibt es in der Fachinformation konkrete Empfehlungen zu Dosierungen bzw. Maximaldosierungen

  • Schritt 2: Verwenden Sie die der Fachinformation entsprechende Formel für die Dosisanpassung und berechnen Sie die geschätzte Nierenfunktion mit Hilfe des Nierenfunktionsrechners

    • Bei Angabe der Dosisanpassung nach eCrCl (Berechnung der Kreatinin-Clearance und Dosisanpassung nach Cockcroft-Gault).

    • Bei Angabe der Dosisanpassung nach eGFR (ml/min/1,73 m2 oder entnormiert in ml/min) (Berechnung der eGFR und Dosisanpassung nach CKD-EPI)

  • Schritt 3: Berechnen Sie mit Hilfe des Dosisrechners bei Niereninsuffizienz die notwendige Dosisanpassung und gleichen Sie diese ggf. nochmal mit den in der Fachinformation empfohlenen Dosierungen bzw. Maximaldosierungen für die jeweilige Stufe der Niereninsuffizienz ab.

Nierenfunktionsrechner

Der Nierenfunktionsrechner dient dazu, die eCrCl = geschätzte Kreatinin-Clearance bzw. eGFR = geschätzte glomeruläre Filtrationsrate aus dem Serumkreatinin zu berechnen. Dafür werden zwei gängige, international anerkannte Berechnungen angeboten.

Wichtig: Beide Formeln berechnen nur Schätzwerte und geben nicht 1:1 die tatsächliche Nierenfunktion des Patienten wieder. Für bestimmte Patientengruppen sind die Formeln nicht geeignet bzw. nicht validiert (s.u.).


A) Berechnung der geschätzten Kreatinin-Clearance nach Cockcroft-Gault [1]


Die Formel nach Cockcroft-Gault berechnet die geschätzte Kreatinin-Clearance (eCrCl = estimated creatinine clearance) in ml/min.


Diese Formel ist nicht normiert auf die Körperoberfläche und daher nicht zur offiziellen Einstufung des Stadiums der Niereninsuffizienz geeignet.


Alter, Geschlecht, Gewicht (idealerweise auch die Körpergröße) und der Serumkreatininwert des Patienten müssen bekannt sein.


Auf dieser recht alten Formel (1976) beruhen bis heute die meisten Empfehlungen zu Dosisanpassungen von Arzneimitteln bei Niereninsuffizienz.[2] Sie ist in vielen Fällen standardmäßig für Dosisanapassungen bei Niereninsuffizienz einsetzbar. Wichtige Limitationen sind in den Abschnitten „Rolle des Körpergewichts“ und „Anwendungsbegrenzungen“ beschrieben.


Rolle des Körpergewichts:


Bei übergewichtigen Patienten wird die Nierenfunktion durch diese Formel bei Benutzung des tatsächlichen Gewichts überschätzt.[3],[4] Daher wird in der Regel empfohlen, ab einem BMI über ≥ 30 kg/m2 das Körpergewicht auf das sog. „Adjusted Ideal Body Weight (AIBW)“ anzupassen (ABW0,4). [3],[4]


Scholz Online passt entsprechend ab einem BMI von ≥ 30 kg/m2 das Gewicht nach der untenstehenden Formel (ABW0,4) automatisch an. Diese Gewichtsanpassung kann aber auch jederzeit aktiv durch Setzen des Häkchens bei „Gewichtsanpassung“ durch den User angewiesen werden.


Teilweise wird auch empfohlen, bei normalgewichtigen Patienten die Kalkulation auf Basis des Idealgewichtes (IBW) durchzuführen.[3] Da dies noch kontrovers diskutiert wird, arbeitet Scholz Online nicht standardmäßig mit dem Idealgewicht, sondern mit dem AIBW. Dem Anwender steht es frei, das Idealgewicht des Patienten zu berechnen und dieses anstatt des tatsächlichen Gewichtes einzusetzen.


Der Serumkreatininwert


Aufgrund des Alters der Cockcroft-Gault Formel wurde sie mit Serumkreatinin-Werten validiert, die nach einer Methode bestimmt wurden, die zu der Zeit gängig war (Technicon-Methodology N-ll b).[1] Mittlerweile wurden ältere Bestimmungsmethoden durch das sog. ID-MS (isotope dilution mass spectrometry) Verfahren abgelöst, das heutzutage den „Goldstandard“ darstellt.[5]


Je nach Formel können Abweichungen des Serum-Kreatininwertes das Ergebnis der Schätzung signifikant beeinflussen. Dies wurde z.B. anhand der MDRD-Formel gezeigt.[6] Die vereinfachte MDRD-Formel[7],[8] wird allerdings in Scholz-Online nicht verwendet, da sie aufgrund genauerer Werte bei einer Clearance über 60 ml/min durch CKD-EPI abgelöst wurde. [4], [9], [10], [11]


Die Umrechnung eines Serumkreatininwertes, der heute in den meisten Fällen wahrscheinlich nach neuen Verfahren bestimmt wird, wird in Scholz Online nicht automatisiert durchgeführt, da es sich a) bei den Berechnungen der Nierenfunktion generell nur um Schätzungen handelt und b) das tatsächlich verwendete Verfahren zur Bestimmung des Serumkreatinins in der Apotheke oder der Arztpraxis ohnehin nicht bekannt ist. Es wird standardmäßig mit dem eingegebenen Serumkreatininwert gerechnet. Dem User steht es frei, den Wert selbst umzurechnen.


B) Berechnung der eGFR nach CKD-EPI [9]


Diese Formel berechnet auf Basis des Serumkreatininwertes die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR = estimated glomerular filtration rate) und ist normiert auf eine Körperoberfläche von 1,73 m² (Einheit ml/min/1,73 m²).


Die Formel arbeitet mit einem Serumkreatininwert, der mittels ID-MS (s.o.) bestimmt wurde.
Größe und Gewicht des Patienten sind für die Berechnung nach CKD-EPI nicht erforderlich. Sie werden nur im Falle einer Entnormierung benötigt.


Wenn diese Formel zur Dosisanpassung genutzt wird, muss ggf. eine Entnormierung stattfinden. Das gilt z.B., wenn der Patient stark von der Norm abweicht, d.h. zum Beispiel stark übergewichtig, sehr schwer und groß oder besonders leicht und klein ist.[2],[4] Für die Entnormierung werden die Köpergröße und das tatsächliche Gewicht des Patienten benötigt. Auf Wunsch kann der User den Haken bei Entnormierung setzen. Dann werden sowohl der normierte als auch der entnormierte Wert ausgegeben.


Tabelle 1: Offizielle Stadien der chronischen Niereninsuffizienz [12]

Stadium

eGFR (glomerular filtration rate) [ml/min/1,73m²)

Bezeichnung Stadium

Stadium

eGFR (glomerular filtration rate) [ml/min/1,73m²)

Bezeichnung Stadium

1

≥ 90

Normal = Nierenerkrankung bei normaler GFR

2

60-89

schwache Niereninsuffizienz, leicht eingeschränkte GFR

3a

45-59

Schwach- moderate Niereninsuffizienz

3b

30-44

Moderate Niereninsuffizienz

4

15-29

Schwere Niereninsuffizienz

5

< 15

Terminale Niereninsuffizienz, chronisches Nierenversagen




Dosisrechner bei Niereninsuffizienz


Die Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz erfolgt in der Praxis meist auf Basis der geschätzten Kreatinin-Clearance (eCrCl) nach Cockcroft-Gault oder der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) nach CKD-EPI (ggf. entnormiert) (siehe auch Abschnitt 1).[4]


Beachten Sie aber auch konkrete Empfehlungen zu Dosisanpassungen und Maximaldosierungen für die jeweilige Stufe der Niereninsuffizienz in der aktuellen Fachinformation des jeweiligen Arzneistoffs.


Die bereits berechnete, geschätzten Nierenfunktion nach den zur Verfügung stehenden Formeln kann hier ausgewählt werden. Sollte die Nierenfunktion vorher noch nicht berechnet worden sein, kann der Nierenfunktionsrechner auch aus dem Dosisrechner aufgerufen werden.


Die Arzneimittel-spezifischen Werte „HWZ“ (Eliminationshalbwertszeit) und „Q0-Wert“ (extrarenal ausgeschiedener Anteil des Arzneimittels) werden dabei von der Scholz Datenbank vorgegeben. Zu beachten ist, dass eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz nach eGFR oder eCrCl nur notwendig ist, wenn gilt: Q0 ≤ 0,5, d.h., wenn die renale Elimination erheblich zur Ausscheidung insgesamt beiträgt.

CAVE: In manchen Fachinformationen werden trotz einem Q0 > 0,5 standardmäßige Dosisanpassungen oder Kontraindikationen bei Niereninsuffizienz vorgeschlagen.


Die initiale Dosis ist bei einem Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz in der Regel dieselbe wie bei Patienten ohne Nierenerkrankung. Die normale Erhaltungsdosis D oder das Dosierungsintervall DI werden in Abhängigkeit von der Eliminationsfraktion Q berechnet: [13]

  • Die angepasste Erhaltungsdosis D berechnet sich im Verhältnis zur Normaldosis bei konstantem Dosierungsintervall auf Basis von Q zu:
    D = ____ <0,00> Einheiten (Arzneiform etc.) entsprechend ____ <%> pro Einnahme

  • Das angepasste Dosierungsintervall DI berechnet sich bei konstanter Erhaltungsdosis auf Basis von Q zu:
    DI = ____ <0,00> Stunden


Um eine praktikable Dosierung festzulegen, können entweder die Erhaltungsdosis oder aber das
Dosierungsintervall oder aber beide Parameter gleichzeitig angepasst werden, z.B. könnte die
Erhaltungsdosis vermindert werden und das Dosierungsintervall gleichzeitig verlängert werden.


Anwendungsbegrenzungen:


Eine Dosierungsberechnung für Patienten unter 18 Jahren ist mit dieser Methode nicht zweckmäßig.
Hier sollte auf spezifischere und für diese Altersgruppe validierte Methoden zurückgegriffen werden.[4]


Bei einer errechneten Clearance von weniger als 10ml/min (10% des normalen) ist diese Art der
Berechnung der individuellen Eliminationsfraktion Q nicht zweckmäßig. In den meisten Fällen wird bei
einer Clearance oberhalb von 60 ml/min keine Dosisanpassung notwendig. [14]


Die durch diese Schätzformeln berechneten Ergebnisse sind bei einigen Patientengruppen fehlerhaft
und sollten nicht zum Einsatz kommen. [4] Dazu gehören z.B.


• Patienten mit instabiler Nierenfunktion
• dialysepflichtige Patienten
• Patienten in extremen Lebensaltern
• Patienten nach Amputationen
• Patienten mit Verbrennungsverletzungen
• Patienten mit Leberzirrhose
• Mukoviszidose-Patienten
• kachektische Patienten
• Schwangere
• Diabetiker
• Transplantierte


Da der Kreatininwert in Abhängigkeit der Muskelmasse variiert, gehören natürlich auch Patienten mit
Muskelerkrankungen/-störungen dazu. [4]


Literatur


[1] Cockcroft, D. W., & Gault, H. (1976). Prediction of creatinine clearance from serum creatinine. Nephron, 16(1), 31-41.
[2] Nyman H.A, Dowling T.C., Hudson J.Q., Peter W.L.S, Joy M.S., Nolin T.D.. (2011). Comparative evaluation of the Cockcroft-Gault Equation and the Modification of Diet in Renal Disease (MDRD) study equation for drug dosing: An opinion of the Nephrology Practice and Research Network of the American College of Clinical Pharmacy. Pharmacotherapy, 31(11):1130-1144
[3] Winter, M. A., Guhr, K. N., & Berg, G. M. (2012). Impact of Various Body Weights and Serum Creatinine Concentrations on the Bias and Accuracy of the Cockcroft‐Gault Equation. Pharmacotherapy: The Journal of Human Pharmacology and Drug Therapy, 32(7), 604-612
[4] Richling, I., Rose, O., Fechtrup, C., Derendorf, H. (2020). Eine Patientin mit eingeschränkter Nierenfunktion, Deutsche Apotheker Zeitung Nr. 21, S.52
[5] Hoste, L., Deiteren, K., Pottel, H., Callewaert, N., & Martens, F. (2015). Routine serum creatinine measurements: how well do we perform?. BMC nephrology, 16(1), 1-9.
[6] Klee, G. G., Schryver, P. G., Saenger, A. K., & Larson, T. S. (2007). Effects of analytic variations in creatinine measurements on the classification of renal disease using estimated glomerular filtration rate (eGFR). Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (CCLM), 45(6), 737-741.
[7] Levey, A. S., Bosch, J. P., Lewis, J. B., Greene, T., Rogers, N., & Roth, D. (1999). A more accurate method to estimate glomerular filtration rate from serum creatinine: a new prediction equation. Annals of internal medicine, 130(6), 461-470.
[8] Levey, A. S. (2000). A simplified equation to predict glomerular filtration rate from serum creatinine. J Am Soc Nephrol, 11, A0828.
[9] Levey, A. S., Stevens, L. A., Schmid, C. H., Zhang, Y., Castro III, A. F., Feldman, H. I., ... & Coresh, J. (2009). A new equation to estimate glomerular filtration rate. Annals of internal medicine, 150(9), 604-612.
[10] Michels, W. M., Grootendorst, D. C., Verduijn, M., Elliott, E. G., Dekker, F. W., & Krediet, R. T. (2010). Performance of the Cockcroft-Gault, MDRD, and new CKD-EPI formulas in relation to GFR, age, and body size. Clinical Journal of the American Society of Nephrology, 5(6), 1003-1009.
[11] Zieschang, S. (2020). „Genau richtig dosieren“ bei Niereninsuffizienz, Arzneimittelverordnung in der Praxis (online), Band 47, Heft 1-2
[12] KDIGO 2012 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease; https://kdigo.org/guidelines/ckd-evaluation-and-management/; Zugriff 02/2020
[13] Dettli, L. C. (1974). Drug dosage in patients with renal disease. Clinical Pharmacology & Therapeutics, 16(1part2), 274-280.
[14] Hartmann B., Czock D., Keller F. (2010), Arzneimitteltherapie bei Patienten mit chronischem Nierenversagen, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 107, Heft 37